10.04.2024, "Bakeliet", Kiel, 16:00 Uhr

 
„Ein Glück, dass Gutes und Schlimmes zusammen existieren“

 

Hui, diesen Text anzufangen fällt mir schwer. Obwohl das Schreiben in diesem Jahr so sehr wie noch nie Teil meines Lebens ist (und das will etwas heißen), ist das hier etwas anderes. Das hier ist kein Lied und auch kein Brief an mir nahe stehende Menschen (mich selbst inkludiert). Aber vielleicht starte ich einfach so, als wäre es einer. Weil das schön ist. Und einfacher. 

Also. 

 

Hallo du, 

 

Ich schreibe dir an einem sehr sonnigen Nachmittag im April. Ich sitze im Café und kann durch das große Fenster mit Rahmen aus Holz rechts neben mir auf eine von Kiel's lebendigsten Straßen schauen. Heute sind viele Menschen unterwegs- viele Fahrradfahrer*innen und einige von ihnen in T-Shirt und Shorts. Ich glaube wir alle brauchen den Frühling. Die Blumen, die frische Luft, den Sonnenschein. Ich jedenfalls freue mich in diesem Jahr ganz besonders über die wärmeren Tage. 

Vielleicht sage ich das aber auch jedes Jahr, bis es irgendwann Herbst wird und ich mir wieder absolut sicher bin, dass es nichts schöneres gibt, als herbstliche Gemütlichkeit. 

Witzig, dass das ein eigentlich sehr vorhersehbarer Ablauf sich jedes Jahr, jede Jahreszeit, so neu und fast überraschend anfühlen kann. Vielleicht bin ich aber auch einfach noch nicht alt genug. 

Mein letzter (und außerdem erster und bisher einziger Eintrag hier) ist schon fast ein halbes Jahr her. Das fällt mir schwer zu greifen. Zeit generell. Seit einigen Monaten fühlt sich Zeit nämlich gleichzeitig relativ lang und kurz an und ich glaube, dass das viel mit Veränderung zu tun hat. Je mehr in meiner kleinen Welt und in mir passiert, desto schneller vergehen die einzelnen Tage und desto länger fühlen sich die Monate an, wenn ich so wie jetzt sie auf sie zurückblicke. 2024 ist schon jetzt ein ziemlich langes Jahr. Auf insgesamt gute Art. 

Ich mag es Kleinigkeiten überzubewerten und zu romantisieren, natürlich. Worüber würde ich mir sonst den ganzen Tag Gedanken machen? Und worüber würde ich schreiben? Aber es ist nicht nur das. Ich fühle viel, alles, so scheint es mir manchmal. Riesige Freude und tiefe Traurigkeit, beides und alles dazwischen, manchmal gleichzeitig. Das ist schön, finde ich mittlerweile. Denn lieber besonders viel besonders doll fühlen, als gar nichts. Das ist zwar auch sehr anstrengend, aber… Nein, ich bremse mich mal kurz in dem Gedankengang. Darauf wollte ich nämlich gar nicht hinaus. Ich wollte eigentlich über Kleinigkeiten schreiben. Romantisierbare Kleinigkeiten und über dieses lange, kurzlebige Jahr und darüber wie es angefangen hat. 

Tja, aber auch das lässt sich nicht so einfach formulieren. Vielleicht hast du mein im Januar veröffentlichtes Lied „Licht“ gehört (falls ja, vielen Dank dafür!) und gelesen, was ich dazu geschrieben habe: Dass es in einer Zeit entstanden ist, in der genau davon nicht viel da war. 

Ich habe mich in einer kalten Zeit traurig, einsam, verwirrt und verloren gefühlt. Ende letzten Jahres und Anfang diesen Jahres war all das sehr wahr, immer wieder und immer wieder anders. Was auch wahr ist und war, ist, was ich in „Wenn Zeit Vergeht“ schreibe: „Ein Glück, dass Gutes und Schlimmes zusammen existieren“. Ich finde, dass das ein Satz ist, der Hoffnung gibt. Vielleicht einer der einzigen Sätze, der Hoffnung gibt, wenn es in der Welt gerade richtig schlimm aussieht. Sowohl in der eigenen kleinen oder auch in unser gemeinsamen großen Welt. Gute Dinge können wahr sein, können existieren, neben allem, was unumstritten furchtbar ist. In „Licht“ singe ich von Kerzen, Teelichten auf dem Klavier. Nicht nur, weil meine Menschen und ich uns in besonders viel isolierendem Schmerz tatsächlich oft Kerzen angezündet haben (wenn schlimme Dinge schlimm sind, kann man es sich in der Dunkelheit ja wenigstens gemütlich machen), sondern auch weil es nicht die eine Lichtquelle gibt, nicht metaphorisch. Ich persönlich weiß jedenfalls, dass es für mich nicht die eine Sache gibt, die mein Leben hell macht, die mich zum Strahlen bringt. Es gibt viele kleine „Lichtquellen“, ein Glück, denn so kann durch sie, wie durch kleine Teelichte auf dem Klavier, Licht in eine Zeit gebracht werden, die insgesamt dunkel ist, weil einige große Lichtquellen aus dem eigenen Leben verschwunden sind oder weil das, was passiert ist, sich wie ein dunkles Tuch über jede Helligkeit gelegt hat. Dann gibt es Teelichte. Schöne Dinge, auch ganz kleine, deren Licht in der Summe nicht zu unterschätzen ist. Auch Mike Rosenberg (Passenger) singt „we’re born with millions of little lights shining in the dark and they show us the way“ und „one lights up every time you feel love in your heart, one dies when it moves away“. Ich erzähle dir offensichtlich nichts neues. Ich verliere mich schon wieder, glaube ich. Jedenfalls war das das Ende des letzten und der Anfang diesen Jahres. „Licht“. Immer sowohl Gutes als auch Schlimmes in unterschiedlichen Mischverhältnissen. 

(„Licht“ habe ich übrigens am letzten Tag des Jahres 2023 aufgenommen. Im ersten Klavierteil hörst du zwei laute Knalle-  Silvesterraketen- von denen ich irgendwie mag, dass sie da sind und „stören“. Weil sie mich an ein außergewöhnliches, ganz kleines, ganz ruhiges und ganz einzigartig emotionales Silvester erinnern. An eine ganz bestimmte Mischung aus Einsamkeit und Zusammenhalt, die ich an dem Abend in zu den Umständen sehr passend schön-traurig-glücklicher Koexistenz mit meiner Mama spüren und in die Musik einbringen durfte. Und daran, dass das faktisch das Ende des Jahres 2023 war. Licht. Dunkelheit. Liebe.) 

So. Und nun zurück zu den romantisierbaren Kleinigkeiten (die auch sehr schöne Quellen für „Teelichte“ bilden können). Anfang Januar habe ich eine Sternschnuppe gesehen (um 05:00 Uhr morgens im -20°C kalten und noch düsteren Norwegen, nachdem ich auf dem Weg zum Auto auf dem Glatteis ausgerutscht bin). Das (die Sternschnuppe, nicht das Ausrutschen) und ein tiefes Gefühl in mir drin, das mir gesagt hat, dass alles wieder leichter wird, weil ich mich zwar in einer sehr herausfordernden und emotionalen Zeit, aber grundsätzlich auf dem richtigen Weg befinde, haben in einem verwirrenden Januar zwei wichtige kleine Lichter gebildet. 

Kennst du dieses Gefühl? Die Stimme in dir, die tiefer geht, als Lebensumstände? Die, die dir sagt, dass du im Rahmen deiner Möglichkeiten, also unabhängig von Dingen, auf die du keinen Einfluss hast, „auf dem richtigen Weg“ bist? Der richtige Weg ist auch wieder eine komische Formulierung oder? Vor allem, weil Lebenswege maßgeblich von eben genau diesen Zu- und Zwischenfällen beeinflusst werden, die außerhalb unseres eigenen Einflusses liegen. Aber mit dem „richtigen Weg" meine ich auch nicht einen bestimmten Ablauf an Geschehnissen, oder das Erreichen bestimmter Ziele. Auf dem richtigen Weg fühle ich mich, wenn ich das Gefühl habe mit mir und für mich gute Entscheidungen zu treffen. Wenn ich lieb und verständnisvoll mit mir selbst bin, wenn ich ich zuhöre, wenn mein Körper oder mein Kopf mit mir sprechen, wenn ich mir selbst die Chance gebe so glücklich zu sein, wie ich es in den gegebenen Umständen sein kann (was je nach Lebensabschnitt sehr, sehr unterschiedlich aussehen kann). 

Wie subjektiv all das ist! Eine subjektive Denkweise, die für mich funktioniert. Aber es ist okay, das als genau das - eine subjektive Perspektive- mit dir zu teilen, oder? 

Ich persönlich fühle mich in mir sicher mit dem Bild einer inneren Stimme, die wirklich weiß, was gut für mich ist, dem Mut der Stimme zu folgen und dem Vertrauen, dass so gute Dinge passieren können und werden. Was auch immer das bedeutet. Vielleicht widersprichst du mir da, oder hast einen anderen Glauben (oder gar keinen und betrachtest alles ziemlich rational). 

Aber weil ich glaube, was ich glaube, und fühle, was ich fühle, freue ich mich auf Licht- Sonnenschein, weil jetzt Frühling ist und weil Sommer wird und die Tage schon jetzt wieder lang sind. 

Ich freue mich auch auf metaphorische Lichtquellen mit der einzelnen Leuchtkraft vieler mühsam zusammengesammelter Teelichte, die mich und mein Leben strahlen lassen und dabei wenig bis keine Kraft kosten. „Gute Dinge“ also, von denen ich mir sicher bin, dass sie passieren (und die gerade schon dabei sind zu passieren), weil ich auf dem richtigen Weg bin. 

 

All das wünsche ich dir auch! Licht, Mut deiner Stimme zu folgen und falls deine Welt gerade dunkel ist, wünsche ich dir die Kraft Teelichte zu finden, die helfen. 

 

Bis bald! 

18.10.2023, „café stranden“, Dänemark, 14:30 Uhr
 
"Also ist es wohl kein Problem, das ich mit der Kunst als solcher habe, sondern viel mehr eines, das ich mit mir selbst habe."

Ich sitze in einem gut besuchten Café in einem kleinen dänischen Ferienort. Der Sand auf den schwarzen Steinfliesen unter meinen Füßen verrät, dass es seinem Namen gerecht wird - „café stranden“. 
Überall um mich herum sind Menschen- Familien, Paare, junge und ältere. Es ist nachmittags und für viele damit vermutlich genau der richtige Zeitpunkt, sich nach einem Spaziergang am Meer mit Kaffee und Kuchen zu stärken. 
Neben mir brennt das Feuer eines künstlichen Kamins, der wohl für eine gemütliche Atmosphäre sorgen soll. Meiner Empfindung nach ist das aber gar nicht nötig, denn durch die riesige Fensterfront kann man direkt auf das Meer schauen. Große Nordseewellen schlagen an das Strandufer, der Himmel ist grau und der Sturm draußen lässt die Gräser auf den Dünen tanzen. Die kalte, salzige Luft draußen und die Wärme hier drinnen gepaart mit dem dumpfen Stimmengewirr vieler sich unterhaltenden Menschen ist alles, was es braucht, um diesem Ort ein ganz besondere Art von Gemütlichkeit zu verleihen. Ich bin eigentlich hier um Texte für die Uni zu lesen. Drei Fachartikel à 50 Seiten warten auf mich sobald ich das Schreibprogramm meines Laptops wieder geschlossen habe. Wieso habe ich es überhaupt geöffnet? Prokrastination, vermutlich. Aber auch, weil dieser Ort mich inspiriert hat zu schreiben. Ich weiß nicht genau, warum. Als ich gestern einige Stunden am Tisch links neben mir gesessen habe um zu lernen, habe ich mir selbst den Moment in Form einer Zukunftsmail eingefangen. Aus dem gleichen Grund. 
Mir gegenüber sitzt eine Frau. Ich schätze sie auf ungefähr 65 Jahre. Sie hat ihre Ellenbogen auf den Tisch gestützt und sich von mir weg in Richtung Fensterfront gedreht und schaut nun schon seit einigen Minuten hinaus aufs Meer, während der Mann, mit dem sie hier ist, zum Tresen gegangen ist. Ihre silbergrauen, glatten Haare umranden sanft ihr Gesicht und fallen bis kurz über ihre Schultern. Sie trägt eine Brille und einen braunen, grob gestrickten Pullover. Sie ist schön. Und damit meine ich nicht nur ihre feinen Gesichtszüge und ihre elegante Erscheinung. Es ist viel mehr die Art wie sie dort sitzt und still lächelt während sie durch die Fenster schaut. Als hätte sie keine Eile, als wäre sie jetzt gerade ganz hier. Woran sie wohl denkt? 
Ich merke, dass mir das Schreiben noch schwer fällt. Das Schreiben an sich nicht, das mache ich ja sowieso die ganze Zeit. Allerdings hauptsächlich in Form von Briefen, die zwischen mir und den mir nahestehenden Menschen bleibt, an die sie adressiert sind. Aber diese Art des Schreibens verunsichert mich. Ich merke, dass ich mich vor allem von dem Gedanken zurückhalten lasse, dass ich nicht sagen könnte, welchen Wert dieser Text hat. Was hast du als lesende Person davon, dass ich mit dir teile, wie besonders ich mich am 18. Oktober 2023 in einem kleinen dänischen Café gefühlt habe? Aber dieser Augenblick, dieser Ort, dieses Gefühl ist Poesie und genau das, was ich mir wünsche einzufangen, wenn es da ist. Jetzt ist es da und es wäre so schade diesen Moment der Inspiration aus dem Grund verstreichen zu lassen, dass mir das Festhalten wertlos vorkommt. 
Außerdem funktioniert Kunst doch so nicht, oder? In all ihren Formen. 
Vielleicht ist das mit die größte Herausforderung, die ich als Künstlerin spüre. (Es hat mich gerade viel Überwindung gekostet keine Anführungszeichen um das Wort „Künstlerin“ zu legen. Aber ich mache Kunst, also bin ich Künstlerin, oder? Puh.) Einfach da zu sein und Platz einzunehmen und Musik zu machen und Texte zu schreiben und weiter zu teilen, was mich bewegt, selbst wenn es sich anfühlt, als wäre da niemand, den es interessiert, in der Hoffnung, dass Menschen ihren Weg zu mir finden, die das, was ich tue, ehrlich berührt. Ich sage das nicht selbstmitleidig, aber ich weiß, dass es realistisch betrachtet vermutlich nicht wahnsinnig viele Menschen gibt, zu denen meine Texte und meine Art zu denken wirklich spricht. Und das ist völlig in Ordnung. Ich begegne selber auch nur einer kleinen Auswahl an Künstler*innen, deren Worte, Musik, Arbeit mich wirklich bewegen. Dass das so ist und dass wir alle so verschieden sind, macht Kunst ja schließlich auch so unglaublich persönlich und intim. 
Mein Leben wäre so leer ohne die Kunst bestimmter Menschen. Was, wenn sie nie den Mut gehabt hätten weiterzumachen, bevor sie von Menschen wie mir gefunden wurden und Zuhörer*innen ihnen ein Gefühl von Sinnhaftigkeit gegeben haben? Oder ist es viel mehr mein Problem, dass ich das Gefühl habe von Menschen gehört und gesehen werden zu müssen um meiner Musik und meinen Texten eben diese Sinnhaftigkeit zuzusprechen. 
Wieder stelle ich mir die Frage: So funktioniert Kunst doch nicht, oder? Um sinnvoll zu sein? Um gesehen zu werden? 
Kunst ist doch einfach da und bereichert die Welt durch ihre Vielfalt und persönliche Verletzlichkeit. Menschen, die Kunst teilen, tun das ja immer als ein Stück ihrer selbst. Notwendigerweise. 
Ich kann ja nur teilen, was ich kenne. Und was kenne ich schon so richtig, außer mich selbst? 
Und, doch, wenn ich Glück habe, gibt es Menschen, die sich auf irgendeine Art in dem, was ich teile, wiederfinden können. Das kann ich schon so sagen, weil es so einzigartig ist, dass Kunst fremde Menschen auf diese Art verbindet und dass ich davon träume, dass auch meine Musik und meine Worte das schaffen, ist glaube ich okay. Solang ich ihnen nicht die Daseinsberechtigung abspreche, wenn sie nicht gehört und gefühlt werden. 
Das würde mir mit den Werken anderer Menschen aber auch niemals einfallen. Also ist es wohl kein Problem, das ich mit der Kunst als solcher habe, sondern viel mehr eines, das ich mit mir selbst habe. 
Das ist okay, denn gerade dann denke ich, dass ich diesen Text tatsächlich teilen werde. Für die Möglichkeit, dass du als lesende Person irgendetwas damit anfangen kannst und für mich selbst um mir zu beweisen, dass Kunst als sehr individuelles und persönliches Produkt von Menschen genau wie wir selbst auch einfach existieren kann und dadurch nicht weniger „Kunst“ ist.